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Juni 2019

Salafismus und religiöse Konflikte

Gegen einen undifferenzierten Gebrauch des Begriffs ‚Salafismus‘ sollte man darauf hinweisen, dass eine gewisse Konfliktträchtigkeit für die Umwelt zu den grundlegenden Eigenschaften von religiösen Orientierungen zählt (vgl. die Debatten zu sogenannten Sekten in den 1990er Jahren). So erheben Salafisten, wie jede andere religiöse Gemeinschaft auch, selbstverständlich absolute Wahrheitsansprüche sowie Forderungen nach einer bestimmten Lebensführung. Daraus können sich zwar tiefgreifende gesellschaftliche Konflikte ergeben, aber es gilt zu bedenken, dass Religionen gerade damit auch eine kritische und wichtige Aufgabe gegenüber der Gesellschaft und dem Staat haben. Mit ihrer Distanz zu den bestehenden Verhältnissen und ihrer Kritik daran, führen sie nämlich zu Rückfragen an die Gesellschaft und zu einem Diskurs mit allen anderen konkurrierenden und bereits etablierten Sinninstanzen.

Ebenso sollte nicht unterschlagen werden, dass die fortschreitenden Modernisierungen und kulturellen Verunsicherungen gerade für religiöse Lebensformen erhebliche Belastungen darstellen, so dass verstärkte Abschließungen oder sogar Abwehr gegenüber dem modernen Lebensstil auch den Versuch repräsentieren können, diese Lasten zu bewältigen. Im Salafismus präsentieren sich Lebens- und Erziehungsorientierungen beispielsweise durchgängig in einem starken Spannungsverhältnis zu den Prinzipien einer modernen Lebensführung und den sich daraus ergebenden sozialkulturellen Anforderungen. Eine Reduzierung dieser Lebensweise auf ihren abgrenzenden Charakter unterschlägt aber einmal mehr das Vorhandensein solcher Lebensräume in den etablierten Religionsformen (z.B. im christlichen Kloster) und ihren inzwischen anerkannten positiven Effekt für die psychische Hygiene. Auch hier gilt es daher erst einmal grundlegend zu akzeptieren, dass sich Menschen gegen die Forderungen des Zeitgeistes selbstverantwortlich, offen, mobil und reflexiv zu sein, entscheiden können und stattdessen neue Einbindungen und Sicherheiten im Sinne einer religiös-ontologischen Beheimatung suchen oder kreieren dürfen.

Aus all diesen Gründen stellen religiöse Konflikte immer wieder einen potentiellen Moment des gesellschaftlichen Wandels dar. Dieses Momentum in einem positiven Sinne zu nutzen, kann nur gelingen, wenn nicht eindimensional bestimmte Religionsformen als defizitär oder gar deviant interpretiert werden und kritische Anfragen immer nur an diese eine Gruppierung herangetragen werden.

Weiterführende Literatur:

Thomas Meyer : Fundamentalismus. Aufstand gegen die Moderne. 1989

 Till Hagen Peters: Islamismus bei Jugendlichen in empirischen Studien. 2012 (https://elib.suub.uni-bremen.de/edocs/00102782-1.pdf)

Sabine Damir-Geilsdorf/ Yasmina Hedider/ Mira Menzfeld:  Salafistische Kontroversen um die Auslegung des Glaubens und Alltagspraktiken: Pierre Vogel und andere Akteure in Deutschland. 2018 (https://www.connectnrw.de/media/content/Salafistische Kontroversen_092018.pdf)

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Pro-sozialer Umgang mit „Aussteigern“ fördert die Wiedereingliederung

Warum und wie kommen Menschen dazu, ihr Leben im Extremismus hinter sich zu lassen oder extremistische Gruppen freiwillig zu verlassen? Dass diese Frage aktuell relevant und nicht nur für die Forschung interessant ist, hat die öffentliche Debatte um die Wiedereingliederung sogenannter „Syrien-Rückkehrer“ gezeigt. Im Zuge dieser Debatte wurde auch über eine „Deradikalisierung“ der Betroffenen diskutiert, die als eine Art „Läuterung“ von radikalen Sichtweisen verstanden wird (Deutschlandfunk, 2017). Dabei gibt es in der Forschung nur wenig fundierte Erkenntnisse über die Ursachen und Abläufe solcher Abwendungsprozesse (Horgan & Braddock, 2010). Deshalb stellt sich die Frage, wie wichtig eine vollständige Abkehr von radikalen/extremen politischen Überzeugungen gegenüber der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und in ein soziales Umfeld ist.

Im Unterschied zur Deradikalisierung wird der Begriff der Distanzierung eher im Kontext einer Verhaltensänderung gesehen, also z.B. von gewalttätigem hin zu nicht-gewalttätigem Verhalten, auch wenn die Person weiterhin politisch radikale/extreme Überzeugungen aufweist (Horgan & Bjørgo, 2009). Obwohl keine Hauptursache für Deradikalisierung bzw. Distanzierung gefunden wurde, konnten bestimmte „Push“ und „Pull“ Faktoren identifiziert werden, die diese Veränderungsprozesse wahrscheinlicher machen. Push-Faktoren sind Erfahrungen, die eine Person vom Verbleib in einer Gruppe abdrängen, wie z.B. unerfüllte Erwartungen, Desillusionierung, Schwierigkeiten mit dem Leben im Untergrund, Probleme mit Gewalt, Glaubensverlust oder Burnout. Pull-Faktoren wirken von außen auf eine Person, indem eine Distanzierung durch konkurrierende Loyalitäten, positive Beziehungen außerhalb der Gruppe, dem Wunsch nach Familie sowie Bildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten angeregt wird (Altier, Thoroughgood & Horgan, 2014).

Die Ursachen von Distanzierung mit Push- und Pull Faktoren zu erklären ist nicht unproblematisch, da sich nur schwer feststellen lässt, warum ein bestimmter Faktor zur Distanzierung bei der einen, aber nicht bei der anderen Person geführt hat (Altier, Boyle, Shortland & Horgan, 2017). Nichtsdestotrotz zeichnet sich in der Forschung ein zunehmender Konsens ab, der bereits vorsichtige Schlussfolgerungen zulässt. Und zwar wird dem Aufbau von sogenannten „pro-sozialen Beziehungen“ eine Schlüsselrolle für die die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zugeschrieben (Marsden, 2017). Mit „pro-sozialen“ Beziehungen ist gemeint, dass Menschen einander wertschätzen und Verantwortung füreinander übernehmen.

Die australische Forscherin Kate Barrelle hat eine der ersten empirisch fundierten Theorien in diesem Feld entwickelt – jenseits von Push- und Pull-Faktoren. Ihr „Pro-Integration-Modell“ (PIM) ist hilfreich, um Kernaspekte der Distanzierung von extremistischen Gruppen und Haltungen sowie der anschließenden gesellschaftlichen Wiedereingliederung besser zu verstehen. Und zwar fand Sie heraus, dass alle der 22 ehemaligen Extremisten in Ihrer Studie gleich mehrere Gründe für ihre jeweilige Distanzierung angaben, die viel häufiger soziale als ideologische Gründe waren. Durch die Abweichungen zwischen individuellen Push- und Pull-Faktoren wurde deutlich, dass Distanzierungsprozesse vor allem verzweigten und nicht geradlinigen Motivationen folgen, die oft nicht mit einer (vollständigen) Abkehr von radikalen Überzeugungen einhergehen (Barrelle, 2015).

Eine wichtige Erkenntnis von Barrelle lautet, dass mit einer erfolgreichen Distanzierung nicht nur ein Ausstieg, sondern auch immer ein Einstieg verbunden ist. Mit anderen Worten, neben der Abwendung von einem extremistischen Umfeld ist die Hinwendung zur breiteren Gesellschaft ein ebenso wichtiger Faktor. Daraus schließt das PIM, dass Distanzierungsprozesse entlang von drei Identitätsveränderungen in einer Person stattfinden: (1.) die Reduktion der sozialen Identität und des Engagements in einer extremistischen Gruppe, (2.) die Entwicklung einer neuen Selbst-Identität und (3.) die Findung einer neuen sozialen Identität durch die Identifizierung mit einer neuen Bezugsperson. Somit stellt das PIM fest, dass ein aufrichtiger und pro-sozialer Umgang zwischen der Gesellschaft und den Ausgestiegenen absolut notwendig ist, um Letztere in die Lage zu versetzen, ihre Lebensziele mit pro-sozialen Mitteln zu verfolgen und zu einem positiven Ausblick auf ihre Zukunft zu ermutigen (Barrelle, 2015).

Letztendlich wird der nachhaltige Erfolg von Distanzierungsprozessen dadurch entschieden, dass der Übergang von einer Identität als Außenseiter hin zu einer Identität der Zugehörigkeit gelingt. Deshalb sollte es in der Debatte um sog. „Syrien-Rückkehrer“ auch um Bemühungen gehen, die auf eine Wiedereingliederung in verschiedene Lebensbereiche abzielen. Dazu gehört eine Wiedereingliederung in ein soziales und familiäres Umfeld, eine wirtschaftliche Wiedereingliederung durch Bildungschancen und Arbeitsverhältnisse, sowie eine gesellschaftliche Wiedereingliederung zur gleichen politischen Teilhabe für alle. Dies verdeutlicht, dass die Distanzierung vom Extremismus kein vollendetes Konzept ist. Sie sollte als sozial-verwurzelter Prozess verstanden und entsprechend aufgeschlüsselt werden. Gleichwohl bleibt für uns die Frage spannend, „wie viel“ Deradikalisierung notwendig ist, damit es zu Identitätsveränderungen im Kontext pro-sozialer Beziehungen kommen kann.

Literatur

Altier, M. B., Thoroughgood, C. N. & Horgan, J. G. (2014). Turning away from terrorism. Journal of Peace Research, 51 (5), 647-661.

Altier, M. B., Boyle, E. L., Shortland, N. D. & Horgan J. G. (2017). Why They Leave: An Analysis of Terrorist Disengagement Events from Eighty-seven Autobiographical Accounts. Security Studies, 26 (2), 305-332.

Barrelle, K. (2015). Pro-integration. Disengagement from and life after extremism. Behavioral Sciences of Terrorism and Political Aggression, 7 (2), 129-142.

Dalgaard-Nielsen, A. (2013). Promoting Exit from Violent Extremism. Themes and Approaches. Studies in Conflict & Terrorism, 36 (2), 99-115.

Deutschlandfunk. (26.07.2017). Deradikalisierung: Steiniger Weg zurück in die Gesellschaft. Verfügbar unter https://www.deutschlandfunk.de/deradikalisierung-steiniger-weg-zurueck-in-die-gesellschaft.795.de.html?dram:article_id=392006.

Horgan, J. G. & Bjørgo, T. (2009). Leaving terrorism behind. Individual and collective disengagement. New York: Routledge.

Horgan, J. G. & Braddock, K. (2010). Rehabilitating the Terrorists?: Challenges in Assessing the Effectiveness of De-radicalization Programs. Terrorism and Political Violence, 22 (2), 67 -291.

Marsden, S. V. (2017). Reintegrating Extremists. Deradicalisation and Desistance. Basing-stoke: Palgrave Macmillan.

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Info:

Die in dem Blog geäußerten Meinungen entsprechen nicht zwingend der Meinung der Technischen Universität Berlin | Zentrum Technik und Gesellschaft oder der kooperierenden Projektpartner.

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