Salafismus und religiöse Konflikte
Gegen einen undifferenzierten Gebrauch des Begriffs ‚Salafismus‘ sollte man darauf hinweisen, dass eine gewisse Konfliktträchtigkeit für die Umwelt zu den grundlegenden Eigenschaften von religiösen Orientierungen zählt (vgl. die Debatten zu sogenannten Sekten in den 1990er Jahren). So erheben Salafisten, wie jede andere religiöse Gemeinschaft auch, selbstverständlich absolute Wahrheitsansprüche sowie Forderungen nach einer bestimmten Lebensführung. Daraus können sich zwar tiefgreifende gesellschaftliche Konflikte ergeben, aber es gilt zu bedenken, dass Religionen gerade damit auch eine kritische und wichtige Aufgabe gegenüber der Gesellschaft und dem Staat haben. Mit ihrer Distanz zu den bestehenden Verhältnissen und ihrer Kritik daran, führen sie nämlich zu Rückfragen an die Gesellschaft und zu einem Diskurs mit allen anderen konkurrierenden und bereits etablierten Sinninstanzen.
Ebenso sollte nicht unterschlagen werden, dass die fortschreitenden Modernisierungen und kulturellen Verunsicherungen gerade für religiöse Lebensformen erhebliche Belastungen darstellen, so dass verstärkte Abschließungen oder sogar Abwehr gegenüber dem modernen Lebensstil auch den Versuch repräsentieren können, diese Lasten zu bewältigen. Im Salafismus präsentieren sich Lebens- und Erziehungsorientierungen beispielsweise durchgängig in einem starken Spannungsverhältnis zu den Prinzipien einer modernen Lebensführung und den sich daraus ergebenden sozialkulturellen Anforderungen. Eine Reduzierung dieser Lebensweise auf ihren abgrenzenden Charakter unterschlägt aber einmal mehr das Vorhandensein solcher Lebensräume in den etablierten Religionsformen (z.B. im christlichen Kloster) und ihren inzwischen anerkannten positiven Effekt für die psychische Hygiene. Auch hier gilt es daher erst einmal grundlegend zu akzeptieren, dass sich Menschen gegen die Forderungen des Zeitgeistes selbstverantwortlich, offen, mobil und reflexiv zu sein, entscheiden können und stattdessen neue Einbindungen und Sicherheiten im Sinne einer religiös-ontologischen Beheimatung suchen oder kreieren dürfen.
Aus all diesen Gründen stellen religiöse Konflikte immer wieder einen potentiellen Moment des gesellschaftlichen Wandels dar. Dieses Momentum in einem positiven Sinne zu nutzen, kann nur gelingen, wenn nicht eindimensional bestimmte Religionsformen als defizitär oder gar deviant interpretiert werden und kritische Anfragen immer nur an diese eine Gruppierung herangetragen werden.
Weiterführende Literatur:
Thomas Meyer : Fundamentalismus. Aufstand gegen die Moderne. 1989
Till Hagen Peters: Islamismus bei Jugendlichen in empirischen Studien. 2012 (https://elib.suub.uni-bremen.de/edocs/00102782-1.pdf)
Sabine Damir-Geilsdorf/ Yasmina Hedider/ Mira Menzfeld: Salafistische Kontroversen um die Auslegung des Glaubens und Alltagspraktiken: Pierre Vogel und andere Akteure in Deutschland. 2018 (https://www.connectnrw.de/media/content/Salafistische Kontroversen_092018.pdf)
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